Kaum ein Beruf bietet eine größere Verschiedenartigkeit an Aufgaben. Die Arbeitsfelder und Arbeitsstrukturen sind nicht weniger vielfältig. Pflegende arbeiten als hoch spezialisierte Fachkräfte in technisierten Bereichen wie Operationssäle und Intensivstationen. Sie sind aber auch in therapeutisch-kommunikativen Feldern wie Psychotherapie-Stationen oder Demenz-WGs tätig. Die Zusammenarbeit mit unterschiedlichsten Berufsgruppen kann es den Pflegenden erschweren, ihre eigene Berufsrolle zu definieren. Die ihnen anvertrauten Patientinnen und Patienten können Pflegende in ihrer Unterschiedlichkeit und Krankheiten sie vor Herausforderungen stellen, welche oft mit erlerntem Fachwissen allein nicht zu bewältigen ist.
Für viele Pflegekräfte sind die Arbeitsbedingungen kaum noch zu ertragen. Der Mangel an pflegerischem Fachpersonal führt dazu, dass oft nicht genug Zeit bleibt, die PatientInnen oder BewohnerInnen angemessen zu versorgen. Nicht selten bleibt ein Schuldgefühl zurück. BerufsanfängerInnen fühlen sich nach wenigen Jahren verheizt. Bei einer Umfrage des Deutschen Bundesverbandes für Pflegeberufe von 2020 überlegen 32 von hundert Pflegekräften, ob sie ihren Beruf aufzugeben sollen. Trotz des Bemühens, junge Menschen für den Pflegeberuf zu gewinnen und die Zahl der Auszubildenden zu steigern, gelingt es nicht, den Pflegenotstand in den Griff zu bekommen.
In der Altenpflege sind nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit die Vergütungen von 2017 bis 2020 um 15,6 Prozent auf durchschnittlich 3.176 Euro pro Monat gestiegen. Dies mag Anreize schaffen, eine Ausbildung in einem Pflegeberuf zu beginnen. Die Pflegefachschulen haben in den letzten Jahren die Zahl der Ausbildungsplätze erheblich erhöht. Dies führt jedoch nicht im gewünschten Maße zur Entlastung der Pflegenden auf den Stationen und Wohnbereichen. Auszubildende wollen angeleitet und betreut werden. Doch das lässt sich bei der hohen Arbeitsdichte oft kaum gewährleisten. In vielen Fällen werden Lernende voll eingespannt und übernehmen selbstständig ganze Arbeitsbereiche. Nach Auskunft des Pflegeverbands DBfK bricht ein Drittel der Azubis die Ausbildung ab. Die angestrebte Entschärfung des Fachkräftemangels durch frisch examiniertes Personal ist, wenn überhaupt, nur zeitverzögert zu erwarten. Oft verpufft der Effekt jedoch, weil erfahrene Pflegekräfte durch Krankheit ausfallen oder in Rente gehen.
Der Focus schrieb dazu in seinem Artikel vom 20.06.2022 (The Big Quit): „Einen Weckruf für Arbeitgeber nennt auch PWC (Beratungsfirma Price Waterhouse Coopers) die Ergebnisse seiner Studie. Weltweit haben die Forscher aber natürlich auch gefragt: Was lässt sich gegen den Mangel tun? Dabei kamen, ganz klar, Unzufriedenheit mit der Bezahlung und zu hohe Arbeitsbelastung heraus. Aber vor allem auch die sogenannten „weichen Faktoren“: Mangelnde Wertschätzung durch Vorgesetzte, zum Beispiel. Oder der Wunsch, den Wert und Nutzen der eigenen Tätigkeit besser in seiner Bedeutung für das Gesamtbild des Unternehmensvermittelt zu bekommen.“
Die Erhöhung der Löhne und Gehälter in der Pflege ist notwendig und wünschenswert. Doch die schlechten Arbeitsbedingungen und die Dauerüberlastung bleiben. In diesem Spannungsfeld ist ein repressionsfreier, geschützter Raum, in dem Probleme und Belastungssituationen angesprochen werden können, sehr hilfreich.
Supervision bietet die Möglichkeit, Schwierigkeiten zu benennen, zu ordnen und neu zu bewerten. Das Gefühl, mit seinem Unbehagen nicht allein zu sein, schafft schon Entlastung. Nicht selten ist die Lösung eines Problems nicht weit entfernt. In der Supervision können Perspektivwechsel zu neuen Einsichten führen, Arbeitsabläufe unter die Lupe genommen und verbessert werden. Sie bietet Raum Spannungen und Konflikte im Team zu lösen bei den alle „gewinnen“. Dies kann die Stimmung positiv beeinflussen und zu einer frischen Motivation führen. Langfristig fördert sie die Kompetenzentwicklung und Zufriedenheit im Team.
Supervision ist sicherlich kein Allheilmittel für den Fachkräftemangel in der Pflege. Dennoch kann Supervision schnell und effektiv dazu betragen, dass aktuelle Krisen vor Ort entschärft werden. Wenn dadurch zwei überlastungsbedingte Krankheitstage im Monat vermieden werden, rechnet sich Supervision kurzfristig schon im wirtschaftlichen Sinne. Die langfristigen positiven Effekte kommen „gratis“ dazu.